Smartphone für ältere Menschen: Gigaset GS4 Senior ausprobiert

Wurde das wirklich bis zum Ende gedacht?
Vermutlich sind Apples iPhones vor allem wegen ihrer eingeschränkteren Möglichkeiten gegenüber einem Android-Smartphones gerade bei älteren Menschen beliebt. Zu einem Bruchteil des Preises möchte Gigaset jedoch mit einer angepassten Oberfläche genau diese Zielgruppe ansprechen. Wie ihr das gelingen kann, lest ihr in folgendem Ersteindruck.

Das deutsche Unternehmen Gigaset mit Sitz in Bocholt ist der erste Hersteller, der seit 2018 Smartphones in der Bundesrepublik produziert. Mittlerweile kann er auf ein stattliches Portfolio an Mittelklasse-Geräten blicken, zu denen auch das Gigaset GS4 und dessen Senior-Ableger gehören. Das Gigaset GS4 Senior gleicht technisch dem normalen GS4, wird aber mit einem angepassten Launcher, einem magnetischen Ladestecker sowie einem umfangreichen Trainingsbuch ausgeliefert.

Lieferumfang

Design und Haptik

Das Gigaset GS4 Senior ist komplett baugleich zum normalen GS4 und unterscheidet sich lediglich softwareseitig sowie beim mitgelieferten Zubehör. Mit 200 Gramm hat das wertig verarbeitete Smartphone ein nicht zu verachtendes Gewicht, das unter anderem durch die aus Glas gefertigte Rückseite zustande kommt. Zwar ist grundsätzlich positiv zu bewerten, dass sich neben dem Smartphone eine passende Hülle im Lieferumfang befindet, diese ist jedoch nicht sehr hochwertig.  Fingerabdrücke werden nicht nur förmlich angezogen, auch die Druckpunkte von Powerbutton und Lautstärkewippe werden durch den Einsatz spürbar verschlechtert.

Eine Alternative direkt von Gigaset scheint nur mit dem Book-Cover zu bestehen, die Auswahl von Drittherstellern ist wegen der geringen Verbreitung des Smartphones begrenzt. Von Haus aus angebracht ist ein Displayschutz, zusätzlich erhältlich ist ein durchsichtiges Cover für die Rückseite. Aufgrund der glänzenden Klavierlackoptik ist zumindest eine Hülle so gut wie unabdingbar.

Display, Leistung und Speicher

Der Bildschirm des GS4 ist mit 6,3 Zoll Diagonale ein guter Kompromiss aus Handlichkeit und ausreichend Platz für eine große Darstellung von Apps und Icons. Die Auflösung von 2.340 x 1.080 Pixeln ist standesgemäß für ein Gerät dieser Preisklasse und erreicht gute Helligkeitswerte, die das LC-Display auch bei Sonnenschein unter freiem Himmel gut ablesbar machen. In Sachen Leistung kann es sich, ausgestattet mit einem Mittelklasse-Chip von MediaTek und 4 GB RAM nicht unbedingt mit den Flaggschiffen messen, muss es aber auch nicht, wenn es die simplen Aufgaben, für die es gedacht ist, solide ausüben kann. Beim Speicher gibt es angesichts von 64 GB, die per microSD problemlos erweitert werden können, auch keine Beschwerden.

Software

Legt man normale Maßstäbe an das Gigaset GS4 Senior, würde es mit Android 10 kurz vor dem finalen Release von Android 12 nicht mehr so gut wegkommen. Da es bei diesem Smartphone allerdings ohnehin hauptsächlich um die sehr reduzierte UI geht, lässt sich die Android-Version vernachlässigen. Stattdessen zu begrüßen ist die Aktualität in Sachen Sicherheitspatches mit Stand von Juni 2021. Im Mittelpunkt der Oberfläche steht ein Hauptbildschirm, der durch großflächige Buttons für die wichtigsten Apps in zwei Spalten ausgefüllt wird. Am oberen Ende sitzt eine Uhrzeit- und Datumsanzeige, am unteren sind Buttons für einen Notruf (entweder an 112 oder einen vorher festgelegten Kontakt) sowie weitere Einstellungen.

Welche Funktionen (wie Telefon, Kontakte, Kamera, Fotos, SMS, E-Mail, Internet und Kurzwahl) auf der ersten Seite angezeigt werden, wird in den Einstellungen per Schalter festgelegt. Auf der zweiten Seite können jedoch auch beliebige Apps abgelegt werden – eine andere Möglichkeit, Anwendungen zu starten wie durch einen App-Drawer bei anderen Android-Oberflächen gibt es nicht. Zwar ist die Oberfläche schon mit einer eigenen Statusleiste mit vergrößerten Icons ausgestattet, zwei Wische vom oberen Displayrand nach unten fördern aber die normale Android-Benachrichtigungsleiste zutage.

Und das ist nicht die einzige Stelle, an der man überraschend Kontakt mit der Welt außerhalb des für Senioren optimierten Systems macht. Genauso tauchen der simplifizierte Launcher oder der Sperrbildschirm als App in der Multitaskingansicht auf und können theoretisch geschlossen werden. Über diese paar Bildschirme geht die angepasste Oberfläche nicht hinaus, der Funktionsumfang ist also auf das Wesentlichste beschränkt. Wem das nicht reicht, kann das Gigaset GS4 Senior aber auch problemlos in ein „normales“ GS4 verwandeln, indem ein anderer Launcher über den Play Store installiert wird.

Kamera

Die Kamera ist merklich eine der Komponenten, an denen Gigaset sparen musste, um den Preis des GS4 Senior so niedrig wie möglich zu halten. Von der vereinfachten Oberfläche aus gibt es Zugriff auf eine extrem reduzierte Kameraapp, die lediglich einen Button für den Auslöser und einem zum Öffnen der Galerie beinhaltet. Nicht einmal die anderen Kamerasensoren, sprich den Ultraweitwinkel und dem Makrosensor, lassen sich von hier aus ansteuern. Dafür muss zunächst der Schalter „Profi-Kamera“ in den Einstellungen umgelegt werden, der die Einfach-Kamera-App durch eine von anderen Herstellern gewohnte Oberfläche mit allerlei Funktionen ersetzt.

Doch schießt man mal ein Foto mit einem der beiden alternativen Sensoren, wird schnell deutlich, warum man darauf in der anderen App verzichtet hat. Ist der Hauptsensor mit seinen 16 MP bei Tageslicht für einen Schnappschuss durchaus noch gut zu gebrauchen, ist zu Ultraweitwinkel und Makro ein starker Qualitätsabfall der Bilder zu beobachten.

Akku und Sonstiges

Der Akku ist mit 4.300 mAh zwar stattlich, wird jedoch bei der vorgesehenen Benutzung vermutlich nicht sonderlich beansprucht. Zwar gut gemeint ist die Mitlieferung eines magnetischen Stecker mit Pogo-Pins, der den Ladevorgang vereinfachen soll. In der Praxis scheint er jedoch mit mehr Hürden verbunden zu sein, als einfach ein USB-C-Kabel in den Port zu stecken. Der moderne Standard ist im Gegensatz zum altbekannten Micro-USB glücklicherweise in beide Richtungen verwendbar, sodass man ein entsprechendes Kabel nicht falsch herum hereinstecken kann. 18 Watt ist keine besonders schnelle Ladegeschwindigkeit, soll den Stromspeicher aber in etwa zwei Stunden wieder komplett befüllen.

Fazit

Zugutehalten muss man dem GS4 Senior ein helles wie scharfes Display, eine flüssige Performance und einen recht großen Stromspeicher – für die Kamera sammelt das Smartphone jedoch keine Pluspunkte. Während die Hardware unter der Haube des Gigaset GS4 Senior unterm Strich also akzeptabel ist, rückt sie angesichts der in manchen Teilen zum Besseren vereinfachten Oberfläche in den Hintergrund. Allerdings scheint manches nicht konsequent bis zum Ende geführt worden zu sein: Wenn es angepasste Lösungen für Dinge wie SMS, die Kamera oder sogar den Sperrbildschirm gibt, wieso dann nicht auch für E-Mails oder den Browser? An manchen Stellen kommt der Nutzer ungewollt mit dem eigentlichen Android-System in Kontakt und könnte verwirrend werden. Genauso fänden wir optional haptisches Feedback durch Vibration bei der Tastatur sinnvoll.

Insgesamt wirkt es etwas zu kurzsichtig, ein normales Smartphone lediglich anhand der Software seniorentauglich machen zu wollen. Es sind die Details: 128 GB Speicher würden möglicherweise helfen, dass man nicht hilflos mit einer winzigen microSD-Karte hantieren muss. Die physischen Buttons sind für grobmotorische Menschen mit Hülle nur noch schwer zu bedienen. Das ärgert besonders, da diese trotz der Kratzer und Fingerabdrücke anziehenden Klavierlack-Rückseite nicht weggelassen werden sollte. Gigaset muss offenbar noch optimieren, um ein Smartphone zu schaffen, das man bedenkenlos wirklich jedem in die Hand geben kann.

Pro

  • ausreichende Leistung
  • helles Display
  • einfache Oberfläche in vielen Teilen sinnvoll

Contra

  • Software und Hardware ausbaufähig
  • Kamera bis auf Hauptsensor leider unbrauchbar

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Jonathan Kemper

... ist fertig studierter Technikjournalist und Techblogger seit rund einem Jahrzehnt.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher, weiblicher und diverser Sprachformen (m/w/d) verzichtet. Alle Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.

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