Test: Xiaomi Mi 11 mit 120 Hertz & Snapdragon 888 auf den Thron?

Wird das Flaggschiff dem hohen Preis gerecht?
Das Flaggschiff-Hauptmodell der aktuellen Xiaomi-Generation tritt ein gewaltiges Erbe an. Die Smartphone-Serie hat viele Fans, die mittlerweile aber deutlich tiefer in die Tasche greifen müssen. Kann sich das Mi 11 auch im höherpreisigen Segment noch behaupten? Das wollen wir im Test herausfinden.

Übersicht

Das Xiaomi Mi 11 wurde als erstes Android-Smartphone mit dem aktuell stärksten Mobile-Chip Qualcomm Snapdragon 888 vorgestellt. Es muss sich in einem hart umkämpften Markt beweisen, in dem Flaggschiff-Smartphones mit immer krasseren Spezifikationen aufwarten. Gleichzeitig sitzen Xiaomi die Fans im Nacken, die zu niedrigen Preisen eine Top-Qualität erwarten. Allen kann man offenbar nicht gerecht werden, zeigt auch das Basismodell der aktuellen Generation. Im Xiaomi Mi 11 steckt mal wieder eine gehörige Portion Samsung: Angefangen bei den Lautsprechern von Harman/Kardon, deren übergeordnetes Unternehmen seit 2017 zu Samsung gehört, über den von Samsung gefertigten Bildschirm bis hin zur 108-MP-Kamera, die wir nicht nur aus dem Mi 10, sondern auch aus dem Samsung Galaxy S21 Ultra kennen. Technisch gibt es aber noch ein paar gravierende Unterschiede zu den aktuellen Smartphones der Südkoreaner. Doch wer ohnehin Fan von der einen oder anderen Marke ist und sich zum Beispiel an die jeweilige Android-Oberfläche gewöhnt hat, wird sich auch von einem solchen Testbericht nicht vom einen oder anderen überzeugen lassen.

Lieferumfang

Design und Verarbeitung

Hierzulande ist das Mi 11 leider nur in zwei Farbvarianten erhältlich: Blau und Schwarz. Die getestete schwarze Ausführung ist dabei ohne Zweifel die langweiligere, ohne die andere überhaupt mit den eigenen Augen gesehen zu haben. Xiaomi fertigt die Rückseite aus Glas, auch wenn sie weder so aussieht noch sich so anfühlt. Fingerabdrücke sind auf dem schwarzen Gehäuserücken zwar sichtbar, aber fallen nur in bestimmten Blickwinkeln direkt auf.

Der glänzende Aluminiumrahmen gibt dem ganzen nochmal eine wertigere Haptik und Optik und korrespondiert hervorragend mit den einzigen Knöpfen. Lautstärkewippe und Powerbutton sind auf der rechten Seite platziert und lassen sich auch mit kleineren Händen noch gut erreichen. Mit den etwas tiefer platzierten Knöpfen will man sicherlich auch den weiter gewachsenen Ausmaßen entgegenwirken. Gleichzeitig ist das Gewicht einen Hauch gesunken, wodurch es zusammen mit einer Dicke von 8,1 Millimetern schlank in der Hand liegt. Verglichen mit dem Samsung Galaxy S21 Ultra, das mit dem identischen 6,8-Zoll-Bildschirm daherkommt, bringt das Mi 11 mit knapp 200 Gramm sogar rund 30 Gramm weniger auf die Waage.

Die rund ausgeschnittene Punchhole-Notch in der linken oberen Ecke spart einen Balken am oberen Displayrand ein. Zusammen mit dem Curved-Screen ergibt sich eine wahnsinnig hohe Screen-to-Body-Ratio von 91,4 Prozent. Vor Kratzern geschützt ist der Bildschirm übrigens durch den aktuellen Standard Gorilla Glass Victus. Der massive Triple-Kamera-Verbund auf der Rückseite sorgt für eine deutliche Erhebung, wodurch das Mi 11 ohne Hülle nicht flach auf einem Tisch liegen kann. Schließlich ist das Mi 11 zwar wasserdicht, aber ein offizielles IP-Rating gibt es nicht.

Technik und Features

Display mit WQHD+ und 120 Hertz

Das Display macht aber nicht nur unter den Fingern einen hervorragenden Eindruck, sondern auch in den Augen des Betrachters. Dass wir hier genau das gleiche Display haben wie im S21 Ultra, lassen uns nicht nur Größe und Hersteller vermuten. Auch die Auflösung und die Bildwiederholrate stimmen überein. Die 3.200 x 1.440 Pixel sorgen für eine extrem scharfe Darstellung, der AMOLED-Bildschirm ist zudem äußerst hell und farbenfroh. Laut Hersteller schafft das Mi 11 Spitzenwerte von 1.500 Nits, wir konnten mit einem Display-Profiler 1.110 Nits bei 20 Prozent APL (Average Picture Level) und 802 Nits bei 100 Prozent APL messen. In den Einstellungen lässt sich aktivieren, dass das Smartphone nur dort die höchstmögliche Auflösung verwendet, wo sie auch Sinn ergibt, ansonsten greift Full-HD+ als stromsparender Standard. Das Seitenverhältnis beträgt 20:9 – also irgendwo zwischen 2:1 und Kinoformat, was sich für die meisten Anwendungen als perfekter Mittelweg anfühlt. Die Rundungen in den Ecken wirken aber etwas zu stark. Da der Inhalt der meisten Apps allerdings für rechteckige Bildschirme optimiert ist, können manche Details an den Rändern manchmal im Nichts verschwinden.

120 Hertz Bildwiederholfrequenz merkt man sofort nach dem Einschalten schon bei der Benutzung des Launchers, nicht erst in schnell getakteten Smartphone-Spielen. Per Software lassen sich diese auf die herkömmlichen 60 Hertz drosseln, um den Akku zu schonen. Das ist aber wirklich nur in Ausnahmefällen empfehlenswert – wofür kauft man sich sonst ein Smartphone mit einem so grandiosen Bildschirm? Das Xiaomi Mi 11 hinkt damit aber ein wenig den Smartphone-Entwicklungen hinterher, die im Laufe des Jahres in mehr Smartphones als im S21 Ultra oder dem OnePlus 9 Pro zu finden sind. LTPO könnte nämlich das nächste große Ding werden, also Bildschirme, die ganz dynamisch zwischen 120 Hertz und einem Hertz wechseln können. Das soll drastische Auswirkungen auf die Akkulaufzeit haben.

Qualcomm Snapdragon 888 – schnell, aber schnell heiß

Wie eingangs erwähnt, setzt das Xiaomi Mi 11 auf den Qualcomm Snapdragon 888. Er hat einen starken Kern mit 2,84 GHz für die ganz großen Herausforderungen, drei mittlere mit 2,4 GHz fürs normale Geschäft und vier weniger potente mit 1,8 GHz für den Kleinkram, was insgesamt in einer effizienten Octa-Core-Kombination resultiert. Zusammen mit den 8 GB LPDDR5-RAM ergibt sich ein wunderbar flüssiges Benutzungserlebnis ohne Ruckler oder Abstürze. Allerdings hat er auch mit einer starken Wärmeentwicklung zu kämpfen. 15 Minuten zocken und das Gerät wird schon merklich warm, was am Aluminiumrahmen schneller als am Rest des Gehäuses zu spüren ist.

Der PCMark-Akku-Benchmark Work 2.0 ergab mit 120 Hz eine Nutzungsdauer von 7:54 Stunden, bis die Restladung nur noch 20 Prozent betrug. Das ist zwar kein überragendes Ergebnis, dafür kann das Xiaomi Mi 11 aber mit seiner hohen Ladegeschwindigkeit punkten. Nach einer Viertelstunde hat das Smartphone per mitgeliefertem 55-Watt-Charger schon wieder mehr als die Hälfte seiner Ladung, womit man guten Gewissens das Haus verlassen kann. Nach einer weiteren Viertelstunde ist der Akku schon bei über 80 Prozent, in rund 50 Minuten ist er schließlich komplett voll. Beachtliche 50  Watt schafft das Mi 11 laut Hersteller kabellos, wodurch der Akku von 0 auf 100 ebenfalls in unter einer Stunde geladen sein soll. Das ließ sich im Test leider nicht überprüfen. Per Reverse Charging können außerdem andere Gadgets mit maximal 10 Watt über die Rückseite geladen werden.

Fingerabdrucksensor, Lautsprecher und Software

Neben der Möglichkeit zur Gesichtsentsperrung gibt es einen Fingerabdrucksensor unter dem Display, der auf optischer Basis funktioniert. Rasend schnell ist er leider nicht, macht in der Regel aber seinen Job. Nur in wenigen Fällen muss man den Finger heben und neu platzieren. Die Lautsprecher von Harman/Kardon klingen für Smartphone-Lautsprecher Verhältnisse laut und ausgewogen, der Sound ist bei voller Lautstärke am ganzen Gehäuserücken zu spüren.

Als Betriebssystem liegt natürlich das (noch) aktuelle Android 11 zugrunde. Xiaomi verwendet aber seit jeher bei einem überwiegenden Teil seiner Smartphones seine eigene Oberfläche MIUI. Das vorinstallierte MIUI 12 macht keinen Hehl daraus, dass die Software schon immer von iOS „inspiriert“ war und kopiert zum Beispiel das Kontrollcenter fast 1:1. Das ist aber nicht weiter schlimm, denn an jeder Ecke des Systems stecken auch innovative Eigenlösungen wie zum Beispiel Tipps, um die Akkulaufzeit zu verlängern. Das Major Update auf MIUI 12.5 wird von Nutzern schon sehnsüchtig erwartet, soll es doch einige Neuerungen mitbringen und zum Beispiel den Herzfrequenzsensor im Fingerabdruckscanner aktivieren. Ein paar Punkte Abzug gibt es für die vorinstallierten Werbeapps, die man auf einem Vanilla-Android-Smartphone nicht bekommen würde.

Um das Datenblatt beinahe abzuschließen: Es ist modernes Bluetooth 5.2 genauso wie Wifi 6 und ein NFC-Chip an Bord. Der USB-C-Port basiert leider noch auf dem älteren Standard 2.0, was langsamere Übertragungsgeschwindigkeiten zum Computer zur Folge hat. Die 128 bzw. 256 GB Speicher sind schnell dank UFS 3.1, aber leider nicht erweiterbar. Dafür können zwei SIM-Karten gleichzeitig verwendet werden.

Kamera

Die Kamera des Xiaomi Mi 11 verdient beinahe einen eigenen Artikel, steckt sie mit den 108 MP des Hauptsensors doch ziemlich hohe Erwartungen. Es ist der gleiche Sensor, der auch schon im Mi 10 und im S21 Ultra zu finden ist. Im Alltag werden die 108 MP durch das sogenannte Pixel-Binning zu effektiv 27 MP zusammengefasst. Das soll auch in schlechteren Lichtverhältnissen für gute Ergebnisse sorgen. Bei den anderen beiden Sensoren handelt es sich um einen Ultraweitwinkel mit 13 MP und eine Makrolinse mit 5 MP.

Hauptsensor

Die Hauptkamera schafft Videoaufnahmen mit 8K-Auflösung (max. 30 FPS) oder mit 4K (max. 60 FPS).  Die Selfiekamera bietet eine Auflösung von 20 MP, drosselt Videoaufnahmen aber bei Full-HD (max. 60 FPS). Die optische Bildstabilisierung macht einen soliden Job. Selbst aus der Hand und beim Gehen entstehen unverwackelte Bilder. Beim Nachtmodus scheint er dann aber doch irgendwie zu versagen. Im Porträtmodus sind die äußersten Haare vielleicht nicht immer ganz scharf, da glänzt der Fake-Bokeh-Effekt nicht unbedingt.

108 MP

Eigentlich erwartet man, dass Fotos auch viermal so groß sind, wenn sie die vierfache Auflösung haben. Das ist aber nicht der Fall. Während normale Fotos mit rund 10-15 Megabyte daherkommen, liegen die 108-MP-Aufnahmen in der Regel bei etwa 15-20 Megabyte.

Ultraweitwinkel

Das Xiaomi Mi 11 muss ohne Telelinse auskommen, wie sie in manch anderem Smartphone zu finden ist. Das heißt, jeglicher Zoom findet digital statt. Ob man vor dem Auslösen heranzoomt oder das Foto nachher zuschneidet, macht also fast keinen Unterschied. Der Weitwinkelsensor liefert dafür eine nette zusätzliche Perspektive, die Fotos sind zumindest bei Tageslicht scharf und farblich ausgeglichen.

Makro

Die Makrolinse mit 5 MP schließlich ist mehr eine Spielerei. Man muss das Smartphone extrem nah an das zu fotografierende Objekt bewegen und bekommt dann ein eher verpixeltes Ergebnis. Für den WhatsApp-Status reicht’s, woanders würde man die Fotos aber vermutlich nicht posten wollen.

Effekte

Bewegt man sich nur in den Modi der Kamera, die vom Hauptbildschirm durch Wischen zu erreichen sind, verpasst man eine ganze Menge. Der Spaß versteckt sich nämlich hinter den ganzen Buttons, die unter Mehr aufgeführt sind. Da finden sich witzige Effekte zur Langzeitbelichtung, vielleicht unnötige Filter für Porträts, unzählige hilfreiche Einstellungen für Videoclips und und und. Die Software macht manche technischen Verfehlungen der Kamera auf jeden Fall wett.

Kamera-Fazit

Die Kamera des Xiaomi Mi 11 liefert keine überragenden Ergebnisse, aber durchaus akzeptable. Wer die Kamera-App gerne spielerisch entdeckt und viel ausprobieren möchte, kommt hier auf seine Kosten. Von der hohen Megapixel-Zahl des Hauptsensors darf man sich allerdings nicht blenden lassen. Die Fotos sind durchaus scharf und bieten gute Farb- und Kontrastwerte, lässt man die AI-Unterstützung abgeschaltet, wirken sie zudem nicht überzeichnet. Vielleicht entspricht das aber auch genau eurem Geschmack. Nachts lassen sich ebenfalls noch brauchbare Ergebnisse erzielen, wenngleich großartige Landschaftsaufnahmen dann offenbar nicht mehr zu den Stärken zählen. Während des Sonnenuntergangs fängt die Kamera die Lichtstimmung jedoch noch gut ein.

Preis und Fazit

Für 799 Euro UVP bietet Xiaomi das Mi 11 im deutschen Raum mit 8 GB RAM und 128 GB Speicher an. 100 Euro Aufpreis kostet die Version mit 8 GB RAM und 256 GB Speicher. Das ist die gleiche Staffelung, die es auch schon rund ein Jahr zuvor beim Mi 10 gab. Wer allerdings seit dem Mi 9 oder dem Mi 9T Pro die Entwicklung der Smartphone-Serie nicht weiter verfolgt hat, könnte einen Schreck bekommen. Damals lag der Preis mit 449 Euro UVP (Mi 9) oder sogar 425 Euro (Mi 9T Pro) für das Einsteigermodell deutlich niedriger.

Das Xiaomi Mi 11 sammelt deutliche Pluspunkte beim Chip, dem scharfen sowie schnellen Display und dem leistungsstarken Netzteil. Für den Preis sollte man die aktuelle Top-Hardware aber auch erwarten können. Schaut man sich auf dem Markt der aktuell verfügbaren Geräte um, fehlen irgendwie die herausragenden Features. Zudem fehlen eine IP-Zertifizierung oder ein schnellerer USB-Anschluss.

Ja, es gibt in der aktuellen Generation auch günstigere Geräte wie das Xiaomi Mi 11 Lite oder das Mi 11i – doch wer will sich schon damit zufriedengeben, wenn nach oben mit dem Mi 11 Pro oder dem Mi 11 Ultra in der gleichen Serie ohnehin noch Luft ist? Fast vergessen wirken die Zeiten, in denen Xiaomi mit minimalen Margen um die Gunst der Kunden warb. Die erwarten mit dem Mi 11 ein preiswertes, aber doch hochwertig ausgestattetes Smartphone, mit dem man im Prinzip nichts falsch machen kann. Bei gut 800 Euro muss man einmal mehr nachdenken, ob die Rechnung insgesamt aufgeht.

Pro

  • AMOLED-Panel mit 120 Hertz
  • Akku in kürzester Zeit wiederaufladbar
  • Qualcomm Snapdragon 888 rasend schnell

Contra

  • keine IP-Zertifizierung
  • keine Speichererweiterung
  • keine Telelinse
  • nur USB 2.0-Standard

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Jonathan Kemper

... ist fertig studierter Technikjournalist und Techblogger seit rund einem Jahrzehnt.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher, weiblicher und diverser Sprachformen (m/w/d) verzichtet. Alle Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.

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